Drei Augenmerke

 

1. Reportage, Camarét, Bretagne, 1997

Ute Langanky fotografiert Dinge. Teile vom Ganzen, Einzelteile. Holz, sagt das Auge. Unbrauchbar gewordenes Holz. Das Betrachterauge buchstabiert sich Teile zusammen: Wracks. Aus der Funktion, der Seefahrt, genommene Boote. In nutzloser Altersschiefheit Bootswracks, die das gerade Gegenteil von Seetüchtigkeit zu bedeuten scheinen. Totes Holz. Ein sogenannter Schiffsfriedhof,  lankenansammlung dürftiger Gerippe. Dies ist der genau bezeichnete Ort, den das sammelnde Auge, das Kameraauge, Teile versammelnd, zur Nähe bringt. Die Haut dieser Wracks, der Anstrich, abhanden gekommen durch Windbiß, Salzfraß. EinVanity-Motiv? Erneutes Deklinieren von Verfalls-Metaphorik? Irritierend der Titel, den Ute Langanky ihrer Schiffserie gibt, Reportage. Meint Reportage gemeinhin nicht das Gegenteil von Ding-Fotografie? Heißt Reportage nicht Menschenabhäutung durch Thrill? Was wird hier von der Fotografin, im Wortsinn, reportiert, zurückgetragen? Ist mit Ute Langanky nicht eine Reporterin machtvoller Stille am Werk?Der es in der Anordnung als fortlaufendes Band gelingt, die Zeitlichkeit des Objekts in der Konstruktion für einen Moment zum Reden zu bringen? Der es gelingt, das punktuell Zeitliche in bewegten Abläufen zu konstruieren? Dies – die Bildwoge – ist der Leitgedanke von Langankys Fotografie.

© Werkausgabe Thomas Kling  Suhrkamp Verlag  Berlin 2020

 

2. Artefakte, Granzer Hof, Bayern, 1998

Wie in Reportage steht in Artefakte die (Zeit-)Struktur, die Materialität im Vordergrund. Ausgangsstoff ist wiederum Holz, ein anderer Holz-Ort: die menschenleere Scheune eines dreihundertjährigen Hofes im Bayrischen. Und wiederum ist es Irritation, die hier entsteht, von konkreter Räumlichkeit ausgehend, mittels übereinandergelegter Ektachrome. Langanky führt Änderung herbei: Änderung des Raumgefühls, eine Verunsicherung des Gefühls für Raum durch augenscheinliche Verrückung scheinbar sicherer Ebenen.Der Betrachter wird zum Anders- Sehen gezwungen, zum Sehen des Anderen: Gefühliges (‹Bauernscheune›) wird von vorn herein ausgeschlossen – die Biederkeit des Ausgangsmotivs, treuherzige Heimeligkeit, wird ebenso beiläufig wie radikal durch das Unheimliche ersetzt(‹Mein Sehen führt mich in die Irre!›). Daran hat nicht unwesentlich die Farbe, das flammenfarbene, hinflackernde Rot, das Ins-Feuer-Getauchte, gleichwohl Rational-Kühle der Artefakte Teil – Ute Langankys Herkunft liegt in der Malerei, sie hat G. Richter studiert. Artefakte, ein spröder Titel, den die Künstlerin gewählt hat, Artefakte. Das hat ja einmal, bis zum Beginn der Moderne, nichts anderes gemeint als – Kunstwerk. Der Betrachter ändert die Blickrichtung. So kommt es zu anderen Schichtungen von Ebenen – von angefachtem, vervielfachtem Licht ist die Rede.

© Werkausgabe Thomas Kling  Suhrkamp Verlag  Berlin 2020

 

3. Langankys Droste-Zyklus

entstand 1997 anläßlich des 200. Geburtstags der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, der bedeutendsten deutsch schreibenden Autorin an der Schwelle zwischen Romantik und Moderne. Langanky ist hier das Porträt einer ebenso vielschichtigen wie falsch eingeschätzten Künstlerin gelungen, das auf verschiedene Weise überraschend ist. Der vierzehnteiligen Arbeit, einer subtilen Zusammensetzung von Schwarzweiß- und Farbfotografie, gelingt es ganz auf plakativ Anekdotisches etwelcher Heroisierung Vorschub leistendem historistischer Abbildlichkeit zu verzichten. Die Dichterin selbst hat bei Ute Langanky nicht im Bild zu erscheinen.Herrscht aber bei der Fotografin Bilder verbot, bleibt sie im Spekulativen verfangen? Keineswegs. Tatsächlich bietet der Droste-Zyklus ein nicht leicht erschöpfbares Repertoire an emblematisch eingesetzten Marken und Parallelaktionen zu Werk und Leben dieser Frau des 19. Jahrhunderts. Vielschichtigkeit (malerisch gesprochen: die layers) und Anspielungsreichtum der fotografischen Untersuchungsergebnisse kommen nicht von ungefähr: Langanky hat Recherchen unternommen. Vor Ort hat sie Material Zusammengetragen, die historisch-politischen Gegenden, Landschaften, Lebensgelände der Droste aufgesucht, bevor ihre hochreflektierte Transformations-Arbeit erfolgte. Entstanden ist hier ein Werkblock, der Zeitlichkeit und konstruktive Elemente untersucht – das Ergebnis kann als Fotoroman bezeichnet werden.Aber auch als Reportage (siehe oben) und psychisches Porträt, das Stills, Stilleben, performativ-dokumentarisches Vorgehenbeinhaltet, Architektur-und Landschaftsfotografie zitiert und bruchlos Disparatestes in sich zu vereinigen weiß. Der Droste-Zyklus als flirrendes psychisches Porträt: so erscheinen Textentwürfe, diese hypernervösen Handschrift-Blöcke der Droste,wieder unter Aufnahme von romantischer Spiegelungs- und Schattenmetaphorik. Ein anderes Motiv zeigt auf Betonuntergrund das massive Fundstück einer Versteinerung – Fingerzeig auf die geologische Thematik im schriftstellerischen Werk, wie auf naturwissenschaftliches Sammelinteresse der Einzelgängerin. Der Droste-Zyklus: Fotografie als bestechende Hommage und brillantes Bild- und Gedankenarchiv in einem.

© Werkausgabe Thomas Kling  Suhrkamp Verlag  Berlin 2020